Aus

Beschreibung meiner Reise von Hamburg
nach Brasilien im Juni 1824

nebst Nachrichten über Brasilien bis zum Sommer 1825
und über die Auswanderer dahin…

Von P.H. Schumacher

(Braunschweig, Vieweg 1826)
S. 1-39

Es war im Monat Juni des letzten Jahres, als ich mich zur Reise nach Brasilien entschloß. Nachdem ich mit dem Kaiserlich Brasilischen Agenten in Hamburg, dem Major und Doktor von Schaffer, das Nötigste hierüber verabredet und arrangirt hatte, so wurde mir von demselben das Kommando über einen Transport sog. Kolonisten am Bord des Schiffes Georg Friedrich, Kapitän Rosilius, aufgetragen.
Am 27. Juni begab ich mich an Bord in dem Augenblick, als das Schiff von Altona, wo es ausgerüstet war, abging. Die Zahl der Passagiere bestand aus 5 Offizieren, 1 Arzt, 399 Männer (Militärs, Handwerker und Kolonisten), 32 Frauen und 44 Kindern, zusammen 481 Köpfe, welches mit der 20 Mann starken Schiffs-Equipage 501 Menschen waren, die sich auf dem Schiffe befanden.
Die Leute waren schon seit mehreren Tagen an Bord, aber noch konnten sie sich in dem engen Raum nicht finden; es war ein ungeheures Gewühl und Verwirrung; und ein seltsames Schauspiel für den Beobachter, die Ausbrüche der Gefühle der Menge bei der Abreise von Hamburg zu vernehmen. Einge sangen und waren frohen Mutes, Andere weinten, besonders die Frauen, noch Andere, die wohl Not oder ein unglückliches Schicksal zu diesem Schritte getrieben, saßen stumm und in sich gekehrt auf dem Verdecke, und dachten vielleicht, in wehmütiger Erinnerung, an ihre zurückgelassenen Lieben und Familien.
Wir trieben langsam Altona vorbei und warfen unterhalb Blankenese Anker, wo wir mehrere Tagen liegenblieben, um noch Lebensmittel einzunehmen.

Zur Erläuterung hinsichtlich der Passagiere muß ich noch bemerken, daß der größte Theil derselben von dem Agenten unter dem Vorwande engagirt waren, in den kaiserlichen Fabriken in Brasilien angestellt zu werden, oder als Kolonisten das Land zu bebauen. Die Bedingungen und Versprechungen hiebei waren so anlockend und angenehm, daß Tausende sich schon dadurch haben bewegen, lassen, ihr Heil in Brasilien zu versuchen.
Ein anderer Theil Passagiere bestand aus Individuen, welche von der Großherzoglich Mecklenburgischen Regierung aus den Landarbeits-Häusern zu Rostock und Güstrow geschickt waren. Da diese Häuser inMecklenburg von der Ritterschaft unterhalten werden müssen, so suchte dieselbe jetzt auf eine geschickte Art einen Theil der Bewohner derselben los zu werden. Der Graf von Osten-Sacken, als Bevollmächtigter der Ritterschaft, contrahirte hierüber mit dem Major v. Schäffer.

Ich finde mich verpflichtet, hiebei zu bemerken, daß die Mecklenburgische Regierung damals noch durchaus nicht darein willigen wollte, einem unbekannten Manne, ohne öffentlichen Charakter, das Leben und fernere Schicksal von Hunderten ihrer Untertanen zu übergeben. -
Die Details dieser Sache sind mir bekannt; ich weiß, wie viele Mühe und Berichte es kostete, um von der Regierung die Zustimmung zu erhalten; und wie diese endlich erfolgte, so war es nur unter der Bedingung, daß die Ritterschaft einen Kommisär auf ihre Kosten mit senden solle, dessen Pflicht es sey, darauf zu sehen, daß bei der Ankunft in Rio de Janeiro den Leuten das gehalten werde, was der Major von Schäffer versprochen hatte, allein der Herr Agent wußte jene Bedingung auf eine geschickte Art zu hintertreiben *).

*) Jetzt ist die Mecklenburgische Regierung von diesen Begriffen und Besorgnissen zurückgekommen und beeifert sich nun um so mehr, dem Kaiser von Brasilien Subjekte und Verbrecher aller Art, als Bau und Karren gefangene u.s.w. in großer Anzahl zu liefern, da sie einsieht, daß dadurch dem Staate jährlich große Summen erspart werden können.

Es befand sich durchaus kein Verbrecher unter diesen Menschen, denn in Mecklenburg ist Geschäftslösigkeit und Trunkenheit der ärmeren Klasse schon hinreichend, um im Arbeitshause eingesperrt zu werden. Sie werden in Begleitung von Gendarmen, unter Aufsicht des Legations-Raths von Mecklenburg, an Bord gebracht. Hinsichtlich der jungen leute will ich nichts bemerken, aber es waren viele alte Leute darunter über funfzig Jahre, und einige sogar über sechzig Jahre, die ich in meinem Herzen innigst bedauerte, weil ich ihre Schicksal voraus ahnen könnte.

Nach einigen Tagen kam der Agent an Bord, um die Mannschaft zu inspiciren, dann wurden alle jungen Leute zum Militärdienst aufgezeichnet, jedoch mit dem Bemerken, daß es ihnen bei der Ankunft in Rio de Janeiro frei stehe,der Regierung ihrer Wünsche hinsichts der freien Wahl ihrer Beschäftigungen vorzulegen; deßungeachtet ward es Manchen jetzt schon klar, was ihnen zu erwarten stehe.
– Hierauf wurde das Schiffs-Reglement vorgelesen und bekannt gemacht, wie die Leute sich während der Reise gegen ihre Vorgesetzten zu verhalten hatten, und was ihnen täglich an Lebensmitteln vom Schiffscapitain würde geliefert werden.

Es war durchaus notwendig, unter der großen Menschenmenge strenge Maßregeln zur Aufrechterhaltung der Ordnung, so wie zweckmäßige Einrichtungen zur Erhaltung der Gesundheit und Reinlichkeit einzführen. Da ich schon früher große Seereisen als Militär mitgemacht hatte, so war dieses mir ein Leichtes, wobei ich von Schiffscapitain aufs Kräftigste unterstützt wurde. Jedoch war das Betragen der Mannschaft stets ordentlich, und es sind während der ganzen Reise keine groben Excesse vorgefallen.
Nachdem wir die noch fehlenden Lebensmittel eingenommen hatten, segelten wir die Elbe hinunter bis Kuxhafen, und wünschten nur guten Wind, um in See gehen zu können, jedoch lange vergebens, sodaß wir schon fünf Wochen auf der Elbe lagen, ehe der Wind günstig ward.
Während unseres durch widrigen Wind verlängerten Aufenthalte in Kuxhafen hatten sämtliche Offiziere an Bord die Ehre, vom Herrn Senator und Amtsmann, sowie von dem Herrn Kommandeur Janssen, bei mehreren Gelegenheiten Beweise der zuvorkommendsten Aufmerksamkeit zu genießen.

Da es vielleicht vielen meiner Leser nicht unwillkommen sein wird, die Einrichtungen auf dem Schiffe kennenzulernen, und wie die Leute beschäftigt werden, so will ich dieses in der Kürze hier bemerken. - Das Lokal für sämtliche Mannschaft im Zwischendeck war in drei Teile abgeteilt und mit festen Schlafstellen für zwei, fünf und sechs Mann versehen, zwischen welchen Gänge, der Länge des Schiffes nach, durchführten, denen die Leute später sehr bekannte Hamburger Straßennamen beilegten, wenn sie von der örtlichen Lage ihrer Schlafstellen redeten. Den Hinterraum bewohnten die Verheirateten, den anderen größeren Teil die jungen Leute, und das Vorderteil des Schiffes, oder das sogenannte Logis, der Schiffs-Equipage war durch die Kranken okkupirt.
Des morgens um 5 ˝ Uhr ward durch einen Tambour Reveille geschlagen; die Leute standen dann auf und reinigten sich; um 7 Uhr ward Frühstück ausgegeben; dieses bestand gewöhnlich aus Graupen, Brod, Butter und Schnaps; um 12 Uhr wurde das Mittagessen ausgeteilt; dieses bestand, solange wir auf der Elbe lagen, gewöhnl-ich in frischem Fleisch und Gemüse, und in See, in gesalzenem Rindfleisch, Speck, Stockfisch, Erbsen, Bohnen und Sauerkohl. Die Schiffskost mundete allen vortrefflich, und es war freudig zu sehen, wie die Leute, von denen ein großer Teil sich bei der Ankunft an Bord durch ein vielleicht sehr langes dach- und heimatloses Herumirren und einen kümmerlichen Lebensunterhalt in einem traurigen und Mitleid erregenden Zustande befanden, sich an den gesunden und reichlich gespendeten Lebensmitteln wieder erholten. Solange wir auf der Elbe lagen, und noch einige Zeit in See, bekamen die Leute täglich Bier und nachher des Tages eine Bouteille Wasser, sowie alle 14 Tage ein Viertelpfund Taback. Außerdem wurde noch Wein, Zucker, Thee, Pflaumen usw. sowie stärkende Lebensmittel für die Kranken vom Schiffs-Capitain geliefert.

Da mir bekannt ist, wie Englische und Holländische Transportschiffe ausgreüstet werden, und ich aus Erfahrung urtheilen kann, was dazu benötigt wird, so verdient es hier angeführt zu werden, daß ich sehr verwundert war, in der Ausrüstung unseres Schiffes Alles übertroffen zu sehen, was mir in dieser Hinsicht bekannt war, denn die Lebensmittel waren nicht allein von vorzüglicher Güte, sondern auch überflüssig hinreichend und bis in kleine Details vorhanden. Es gereicht den Reedern des Schiffes, den Herren Flügge und Dreyer in Altona zur größten Ehre, hierin so freigiebig und uneigennützig gewesen zu sein, welches auch von der brasilianische Regierung ankerkannt ist. Solche Handlungen dürfen nicht verschwiegen bleiben, zumal sie einen so auffallenden Kontrast mit der Ausrüstung anderer Schiffe bilden, wo aus Mangel an Lebensmitteln und schlechter Behandlung Aufruhr und andere Unglücksfälle entstanden sind.

Es war die Einrichtung getroffen, daß stets ein dritter Teil der Mannschaft auf dem Verdecke auf Wache sen mußte, teils um den Matrosen so viel als möglich zu helfen, teils um auf Ordnung und Reinlichkeit zu sehen. Im Allgemeinen wußten die Leute sich stets angenehm zu beschäftigen, sodaß Keinem die Zeit lang wurde; Schneider, Schuster und Weber, deren Genie sich einzurichten wußte, waren während der ganzen Reise beschäftigt. Wir hatten mehrere Gewehre an Bord, damit wurde täglich durch die Offiziere, den Unteroffizieren und Korporalen das Exercitium eingeübt. Jeden Morgen und Mittag wurden die Lokale der Mannschaft gereinigt und öfters geräuchert. Das Montags und Dienstags wurde von den Frauen für sämtliche Mannschaft gewaschen; gleich anfangs war an Alle Wäsche ausgeteilt worden, und so war es möglich, stets Reinlichkeit zu erhalten; hierauf wurde sehr strenge gesehen, da es zur Erhaltung der Gesundheit so notwendig war. Des Nachmittags und Abends, bis zum Zapfenstreich, versammelten sich die Leute gewöhlich in mehreren Abteilungen, um Scenen aus ihrem Leben zu erzählen, oder sich im fröhlichen Kreise mit Gesang und Spiel zu unterhalten. - Um acht Uhr abends wurde der Zapfenstreich geschlagen, die Wache zog dann auf, Alles begab sich zu Ruhe, und eine halbe Stunde nachher war es so stille wie ausgestorben auf dem Schiff.

CG Friedrich
"Die Georg Friedrich retournirt von Brasilien 1826"

In der Nacht vom 29. auf den 30. Juli wurde der Wind günstig. Des Morgens um 4 Uhr lichteten wir den Anker und gingen ungefähr mit zwanzig Schiffen zugleich in See. Es war ein interessantes Schauspiel zu sehen, wie diese kleine Flotte über den stillen Wasserspiegel hinschwebte, und die aufgehende Sonne die ausgespannte Segel vergoldete. Bald hatten wir Helgoland in Sicht, unseren Kurs verfolgend und alle andere Schiffe hinter uns lassend.

– Auf unserem Schiffe war alles in froher Bewegung, manches laute und innige Fahrewohl wurde dem deutschen Vaterlande gebracht, welches, ach! Viele nicht wiedersehen sollten. Der Wind blieb günstig, schnell hatten wir die Nordsee durchschnitten und Englands Küsten erreicht. Am 2. August befanden wir uns in der Mündung des Kanals la manche zwischen Calais und Dover; es kam ein englischer Lotse an Bord, dem noch Briefe und nachrichten nach Hamburg mitgegeben wurden. Kurz darauf veränderte sich der Wind zu unserem Nachteil, sodaß wir nur langsam avancirten und zehn Tage im Kanal kreuzen mußten. Am 4.August befanden wir uns in der Höhe der Insel Wight; hier bekamen wir die ersten Seekranken, verursacht durch das Schwanken des Schiffes. Dieses gab bei dem ruhigen Wetter zu vielen lächerlichen Scenen Anlaß und viele, die ihre Kameraden deswegen verspotteten, mußten nachher denselben Tribut bezahlen. Wir näherten uns der englischen Küsten oftmals sehr dichte, sodaß alle Gegenstände deutliche zu erkennen waren, wo alsdann die Kreideberge und das vortrefflich angebaute Land, sowie Dörfer und Häusergruppen Stoff zu vielen Unterhaltungen lieferten.

Am 13. kamen wir aus dem Kanal und befanden wir uns nunmehr im Atlantischen Meere. Wir begegneten hier mehreren Schiffen, allein sie hielten sich alle in ziemlicher Entfernung; sie mochten uns wohl wegen der Volksmenge für Seeräuber gehalten haben. Den 17. August befanden wir uns auf der Höhe von Cap Finisterra, und jetzt segelten wir mit günstigem Wind schnell vorwärts.
Hinsichts der Gesundheit der Leute ging es vortrefflich; mehrere bekamen die sogenannten Windpocken, allein da diese nicht ansteckend sind und zweckmäßig behandelt wurden, so waren die Kranken gemeiniglich in neun Tagen wieder davon befreit.

Den 22. August waren wir auf der Höhe von Madeira, und am folgenden Tag gab der Schiffscapitain der gesamten Mannschaft eine Extra-Ration Branntwein, weil wir jetzt die Europäischen Küsten hinter uns hatten, und wünschte Allen bei dieser Gelegenheit Glück in fremden Weltteile. Mittags um 12 Uhr ließ er sämtliche Kinder aufs Hinterdeck kommen, wo er jedes mit Wein und Kuchen beschenkte, wobei die frohe Jugend auf das Wohl des Kaisers von Brasilien ein dreimaliges Hurrah ausbrachte. Bei dieser Gelegenheit muß ich bemerken, was nicht vergessen werden darf, daß der Schiffs-Capitain sich durch sein braves Benehmen und seine teilnehmende Aufmerksamkeit, die Liebe und die Achtung aller Leute erwarb. Wenn der Major und Doktor von Schäffer in seinem über Brasilien höchst parteiisch geschriebenen Werke irgendwo sagte, daß nur Ehrenmänner mit Führung von Kolonisten-Transport-Schiffen beaufträgt würden, dann verdient Capitain Rosilius gewiß diesen Namen. Schiffs-Capitain und Offiziere, Soldaten, Kolonisten und Matrosen waren während der ganzen Reise in steter Harmonie, welche durch nichts unterbrochen wurde.

Am 27. August hatten wir die Kanarischen Inseln im Gesicht und passirten langsam die Inseln Palma, Ferro und andere; da wir über mehrere Meilen davon entfernt waren, so konnten wir keine einzelnen Gegenstände davon erkennen, wodurch vielen der Wunsch, den Pic de Teneriffe zu sehen, vereitelt wurde. Es zeigten sich hier ganze Scharen großer und kleiner Fische, als Boniten, Tümmler, Delphine und fliegende Fische, welches den Leuten eine angenehme Unterhaltung gewährte. Den 31. August befanden wir uns auf dem Wendekreis des Krebses. Denselben Tag hatten wir den ersten Toten am Bord. Feierlich war der Augenblick, wie die Mannschaft durch die dumpfen Signale der Hörner auf dem Verdeck zusammengerufen wurde, um Zeuge des Begräbnisses zu sein. Der Entseelte wurde nach Schiffsbrauch in Leinewand gewickelt, über Bord gesetzt und unter dem bei entblößtem Haupte gehaltenen Gebet Aller, in den Wellen begraben. Es war ein Mecklenburger; er hinterließ Frau und Kinder am Bord.

Bei der Hitze, welche wir jetzt mehr und mehr empfanden, vermehrten sich die Kranken. Unter allen Krankheiten, welche jetzt an Bord herrschten, war eine sehr gefährlich, nicht so sehr wegen der Menge, als wegen der schrecklichen Art, wie sie sich zeigt; dieses waren die natürlichen Blattern. Bei einem so furchtbaren Übel konnte nicht Vorsicht genug angewandte werden, um die Verbreitung zu verhinder; allein wie war es möglich, die Kranken in diesem engen Raume außer allem Umgang mit den Gesunden zu halten? Aber dem Himmel sei Dank, es wurden nur wenige davon befallen. Alle Kinder hatten das Glück, davon befreit zu bleiben.

Der Arzt und zwei Gehilfen waren jetzt in voller Beschäftigung; alle nur möglichen Mittel wurden angewendet, um die Gesundheit der Leute zu erhalten. Sie mußten sich öfters baden, und täglich wurden die Krankenlokale ausgeräuchert, welches auch mehrere Male mit dem ganzen Schiff geschah, so wie auch sehr darauf gesehen wurde, daß die Leute sich des Abends und Nachts nicht ohne Kopfbedeckung auf dem freien Verdeck befanden, oder in freier Luft schliefen, welches im tropischen Klima, besonders in mondhellen Nächten sehr nachteilig für die Gesundheit ist.
Die Arzneien, die wir aus Hamburg mitbekommen hatten, waren bei weitem nicht ausreichend, und einige sehr notwendig Artikel waren gar nicht vorhanden. Der Schiffscapitain war bei dieser Gelegenheit sogleich bereitwillig, seine ganze Schiffs-Apotheke zu unserem Gebrauch zu geben, welches uns sehr zustatten kam.

Am 1. September starb wieder ein Mann; derselbe hatte siet 14 Tagen furchtbar an Blattern gelitten, weshalb er schleunigst über Bord gesetzt und alle seine Effekten, um Ansteckung zu verhüten, in die See geworfen wurden. Den 14. September starb abermals ein Kranker, und am 18. wurde eine Militärfrau von einem gesunden Knaben entbunden, welcher nach dem Schiff Georg Friedrich genannt wurde.

Es ging jetzt mit unserer Reise nicht sehr vorteilhaft. Konträre Winde, welche beinahe drei Woche anhielten, ließen uns nur sehr langsam avanciren, aber bei alledem war es gut, daß wir keine Windstille bekamen, wodurch oftmals Schiffe 6 bis 7 Wochen in diesen Strichen aufgehalten werden. Wer dergleichen noch nicht erlebt hat, kann sich keine Vorstellungen machen, wie schrecklich solches auf Transport-Schiffen zuweilen empfunden wird. Die Segel hängen alsdann schlaff herunter, das Schiff treibt auf dem stillen Wasserspiegel des unermeßlichen Meeres wie ein Ball herum, kein Lüftchen bewegt sich, die Sonne schießt ihre senkrechten Strahlen aufs Verdeck, sodaß Alles, Holz, Eisen und Tauwerk glühend heiß ist, und die Menschen vor Durst und unerträglicher Hitze verschmachten.

Am 21. September hatten wir wieder einen Toten. Es war ein blühender junger Mann von 19 Jahren, von guter Familie, dessen Bruder sich noch am Bord befand. Er hatte meine innigste Teilname erweckt, allein alle Mittel,ihn zu retten, waren vergebens. Es herrschte jetzt dumpfes Schweigen und Niedergeschlagenheit unter Allen. Täglich bekamen wir mehr Kranke, und das Ende unserer Reise war bei dem widrigen Winde nicht abzusehen. Indessen half auch hier der Himmel, der Wind wurde günstig, und bald erreichten wir den Aequator. Den 26. starb wider ein Mecklenburger Kolonist, 61 Jahre alt; am denselben Tag passirten wir die Linie. Diese wurde bei Tagesanbruch von unserem braven Obersteuermann (jetzigen Capitain Günthersen) durch Aufziehen der Flagge stillschweigend zu erkenn gegeben, und nachher vom Schiffs-Capitain den sämtlichen Offizieren bekannt gemacht. Da es gerade Sonntag war, so waren die Leute alle sehr reinlich gekleidet; es wurde von den Offizieren und Unteroffizieren, wie gewöhnlich des Sonntags, Inspection gehalten und bekannt gemacht, daß zur Feier des Tages eine doppelte Ration Branntwein, Bier und Taback ausgeteilt werden sollte. Die Kinder wurden wieder, wie vorhin erzählt, vom Schiffs-Capitain beschenkt. Die Stimmung der Mannschaft war durch dieses Ereignis und den glücklichen Fortgang heiter und zufrieden, und so wurde dieser merkwürdige Tag fröhlich unter Gesang und Spiel verlebt.
– Den 28. September verloren wir wieder einen Mann durch den Tot, aber bei günstigem Wind näherten wir schnell dem Ende unserer Reise.

Am 5. October, des Abends um sechs Uhr, begegneten wir einem amerikanischem Schiffe; es wurde von uns angerufen, wodurch wir erfuhren, das selbiges von Montevideo kam und nach Philadelphia bestimmt war. Am 8. bekamen wir Land zu Gesicht und die höhen brasilianischen Küsten zeigten sich in blauer Ferne.
In der folgenden Nacht bekamen wir einen kleinen Sturm, der zwar nur einige Stunden anhielt, aber während dieser Zeit ziemlich alles auf dem Schiff durcheinander warf. Hiervon waren wir währendder ganzen Reise verschont geblieben, und der Capitain bemerkte manchmal lächelnd, daß die Leute garnicht sagen könnten, eine Seereise gemacht zu haben, weil sie keinen Sturm, keinen anhaltenden Regen und kein schlechtes Wetter erlebt hätten, womit wir indessen sehr zufrieden waren. Wir segelten die Küste entlang, und kamen am Abend des 9. Octobers auf der Höhe von Rio de Janeiro an, konnten aber den Hafen wegen Dunkelheit und Windstille nicht erreichen. Den folgenden Tag war es stilles, nebliges und regnerisches Wetter, wodurch es unmöglich wurde, einzulaufen.

Am 11. October war Wind und Wetter günstig. Es war ein angenehmer Anblick, wie des Schiff, vom Winde schwach getrieben, sich langsam der Küste näherte und alle Gegenstände sich nach und nach deutlich entwickelten. Hohe Felsenufer, welche beinahe senkrecht aus dem Meere emporsteigen, hin und wieder mit Bäumen bewachsen, zeigten sich vor unseren Blicken. Alles war in gespannter Aufmerksamkeit,. In dichtgedrängten Haufen standen die Leute auf dem Verdecke, sich zutraulich und still ihre Bemerkungen mitteilend. Des Nachmittags vier Uhr passirten wir das Castell St. Cruz, wo auf unserem Schiffe die Brasilische Flagge hochgezogen und von sämtlichen Mannschaften ein dreimaliges Hurrah ausgebracht wurde. Jetzt konnten wir Brasilien Hauptstadt und die ganze inselvolle Bai übersehen.
– Nach und nach passirten wir die Forts St. Joao, Lago und Villegaignon, bei welchem letzteren der Hafen-Commandant an Bord kam, um das Schiff zu visitiren. Er erkundigte sich gleich, ob alles in gehöriger Ordnung und während der Reise nichts vorgefallen sei, war mit unserem Berichte zufrieden und erzählte uns, daß auf dem zuletztangekommen Schiffe Germania, Capitain Voss, Revolution und große Unordnung vorgefallen wären, und daß der Commandant der Passagiere, der Lieutenant von Kiesewetter, acht Aufrührer hätte erschießen lassen.1
– Abends um 5 ½ Uhr gingen wir bei der Schlangeninsel (Ilha de Cobras) einige hundert Schritte, gerade der Stadt gegenüber, vor Anker…

1. Für die Geschichte der "Germania", siehe Richard J. Evans, Szenen aus der deutschen Unterwelt (Hamburg, 1997), S. 83-86